Das Schröpfen

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Die Naturheiler Mohammed und Suliman in Dubai
 
 
Die beiden Omanis, die aus kleinen Dörfern in der Nähe von Hatta stammen, leben schon seit 1996 während jeweils sieben Monaten im Jahr im Kulturerbedorf.
Ab Ende September bis Ende April trifft man sie eigentlich täglich in deren sehr bescheidenen, traditionellen Hütten aus Palmenwedeln an, in denen es keine Klimaanlage, kein Fernseher und auch kein Bad gibt.
 
 

Es war eine angenehm kühle Novembernacht im Ramadan 2003, als ich mich zum Kulturerbedorf begab, dessen idyllische Atmosphäre mich bei jedem Besuch erneut in den Bann zieht. Dieses Interview war schon seit langer Zeit geplant und so freute ich mich um so mehr, als ich endlich die zwei stadtbekannten Medizinmänner kennen lernen durfte, die mich vor ihrer traditionellen Barasti-Hütte an den Ufern des Creeks erwarteten.

Mohammed Musabbah Al Washahi (links) und Suliman Bin Hassan Al Beloushi (rechts)
Obwohl ihre Heimatdörfer nur 50 km auseinander liegen, haben sie sich erst in Dubai kennen gelernt. Dubais Regierung hat sie im Rahmen des alljährlich stattfindenden Dubai Shopping Festivals nach Dubai gebracht. Wegen ihrer Beliebtheit verweilen sie nun jeweils sieben Monate und nicht nur einen Monat, der Dauer des Dubai Shopping Festivals, in Dubai. Man gewinnt den Eindruck, dass die beiden alte Schulfreunde oder sogar Brüder sind, so freundschaftlich und einträchtig gehen sie miteinander um.
Viele Besucher der Stadt schlendern vor den einfachen Behausungen der Naturheiler hin- und her. Die Fragezeichen auf den Gesichtern der Touristen sind nicht zu übersehen. Manchmal werden die beiden Heilkünstler, zu ihrem Amüsement, auch in die Wahrsagerecke gestellt. Aber was genau machen die beiden Medizinmänner eigentlich?
Suliman Bin Hassan Al Beloushi, kennt sein genaues Alter nicht aber meint, dass er wahrscheinlich irgendwann in den 20er Jahren geboren wurde. Sein Kollege und Nachbar, Mohammed Musabbah Al Washahi wurde 1936 geboren. Beide sind Analphabeten, die ihr Handwerk über Generationen von ihren Vorvätern erlernt haben.

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Suliman praktiziert das blutige Schröpfen (Arabisch: Hidschama, Bedeutung: Saugen) , das in der arabischen Welt eine lange Tradition hat. Mohammed heilt mit Hilfe der Kauterisation (Arabisch: Kawi, Bedeutung: Eisen), die ebenfalls ein fester Bestandteil der arabischen Heilpraktik ist. Die beiden Freunde waren sichtlich erfreut darüber, dank dieses Interviews im Internet präsent zu sein, obwohl sie beide nicht wussten, was genau das Internet eigentlich ist. Mit viel Enthusiasmus haben die charismatischen Mediziner von ihren Behandlungsmethoden berichtet.

(M= Fragen an Mohammed, S=Fragen an Suliman)

Das folgende Interview wurde aus dem Arabischen übersetzt.

(M) Was genau ist die Kauterisation und bei welchem Krankheitsbild wird sie angewendet?
Bei der Kauterisation werden bestimmte Körperstellen durch das Einbrennen eines glutheißen Eisenstiftes verödet. Ich kann damit alle möglichen Beschwerden heilen, von Zahnschmerzen bis hin zu Gelbfieber, permanentem Schluckauf, Leberkrankheiten oder Bauchschmerzen. Ich garantiere dafür, dass der Patient durch diese Behandlung geheilt wird.

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Die meisten Krankheiten werden sofort geheilt und einige nehmen maximal zehn Tage bis zur Heilung in Anspruch. Was genau letzten Endes die Heilung verursacht, weiß ich nicht genau, aber wie der Prophet Mohammed es uns in den Überlieferungen (Hadith) lehrt, kann eine Heilung unter anderem durch folgende Methoden erzielt werden: blutiges Schröpfen, Kauterisation und Einnahme von Honig. Die Kauterisation hinterlässt in der Regel keine Narben. Das verödete Gewebe löst sich nach ungefähr fünf Tagen ab. Die Behandlung ist in den meisten Fällen nur einmal nötig und nimmt nur einige Augenblicke in Anspruch. (Foto: Mohammed erhitzt das Eisen in der Glut)

(M) Wie wissen Sie, ob bei einem Patienten die Kauterisation, das blutige Schröpfen oder eine andere Naturheilkunst erfolgreich sein wird?
Wir wissen es einfach. Wir haben es schon im Kindesalter gelernt. Wenn uns die Patienten ihr Leiden beschreiben, dann wissen wir sofort, welche Behandlungsmethode für sie in Frage kommt.

(M) Wie sind Sie dazu gekommen, diese Heilmethode zu praktizieren? Ist es eine Familientradition?
Ich habe diese Kunst von meinem Vater erlernt und behandelte bereits als Siebenjähriger meine ersten Patienten. Ich habe zwei Töchter und drei Söhne, die alle auch die Kunst der Kauterisation von mir erlernt haben und alle im Oman leben. Ich habe die Kauterisation nur meinen Kindern beigebracht und würde es auch niemandem anderen anvertrauen.

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Wer die Kauterisation erlernen möchte muss über Intuition und eine gewisse Begabung verfügen. Ich behandle außerdem auch mit der Streichmethode, bei der ähnlich wie bei einer Massage, Körperteile während ungefähr einer Stunde massiert und ausgestrichen werden.

(M) Wie kann man sich bei Ihnen für eine Behandlung anmelden und wie viel kostet sie?
Ich und Suliman haben kein Telefon, das heißt, dass man einfach hier bei uns vorbei schauen muss, ohne sich anmelden zu müssen. Jeder kann mir so viel Geld geben, wie er möchte und kann. Ich habe keine festen Preise. Wenn mir jemand 10 Dirhams gibt, dann nehme ich dies genau so gerne an, wie wenn es 1000 Dirhams sind. Wir erhalten von Dubais Regierung, die uns ja hierher gebracht hat, ein monatliches Gehalt, deswegen kann ich mir es leisten, keine Festpreise zu haben.

(M) Wie viele Patienten haben Sie im Laufe Ihres Lebens behandelt?
Oh, das weiss ich nicht. Es müssen Tausende sein. An manchen Tagen suchen mich mehr als 50 Leute auf und an machen Tagen niemand.

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Da ich aber nicht schreiben und lesen kann, führe ich auch keine Kundenkartei. Die meisten Patienten kommen so oder so nur einmal zu mir, da sie danach geheilt sind.

(M) Waren Ihre Einnahmen als Naturheiler ausreichend, um Ihre Familie zu ernähren?
Nein, leider nicht. Ich bin ein Beduine und konnte mich dank der Zucht und dem Handel mit Kühen, Kamelen, Ziegen, Eseln und dem Verkauf von Holz über Wasser halten. Mit Dubai hatte ich schon immer Handel betrieben. Wir haben Holzkohle nach Dubai verkauft.

(M) Haben Sie jemals in ihrem Leben einen “westlichen” Arzt aufgesucht?
Nein, ich habe mich mein Leben lang nie von so einem Arzt behandeln lassen und ich habe niemals Pharma-Medikamente zu mir genommen und nie eine Spritze injiziert bekommen. Ich glaube, dass die moderne Medizin nur ein Humbug ist.

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(M) Welche Medizin nehmen Sie ein, wenn Sie krank sind?
Ich nehme eine Mischung aus Myrrhe und Heilkräutern ein, die mich bisher immer schnell und zuverläßig geheilt hat. Wenn ich sehr krank bin, dann behandeln mich meine Kinder mit Kawi (Kauterisation).
Foto: Mohammeds selbstgemachte Medizin aus Myrrhe

(S) Wie haben Sie das blutige Schröpfen erlernt?
Die Heilmethode ist eine Familientradition. Seit sieben Generationen haben alle Mitglieder unserer Familie das blutige Schröpfen erlernt und ausgeübt.

(S) Welche Utensilien benutzen Sie zum Schröpfen?
Zum einen benötige ich die Stierhörner, die teilweise über 60 Jahre alt sind. Jedes Horn wird gemäß deren Länge, Krümmung und Diameter, zur Behandlung von unterschiedlichen Körperstellen benutzt. Dann benötige ich auch eine kleine Lanzette, eine Art längliche Rasierklinge, mit der die Haut an der zu behandelnden Stelle ganz leicht angeritzt wird.

(S) Woher haben Sie diese Stierhörner? Kann man die irgendwo kaufen?
Nein, die gibt es nirgendwo zu kaufen. Ich habe die meisten geerbt aber manchmal, wenn ein Stier geschlachtet wird, kann ich die Hörner erstehen.

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(S) Wie funktioniert das blutige Schröpfen und wie lange dauert eine Behandlung?
Die obere Spitze der Stierhörner ist mit Bienenwachs überzogen. Diese erhitze ich kurz um sie weich zu machen und durchsteche sie anschließend mit einer Nadel. Das Horn wird dann auf die zu behandelnde Stelle gelegt und ich sauge durch die Öffnung an der Hornspitze die Luft heraus, damit ein Unterdruck entsteht. Das Horn saugt sich sozusagen an der Haut fest und darunter bildet sich ein Bluterguss. Nach einigen Minuten entferne ich das Horn und ritze die Stelle des Blutergusses mit der Lanzette ganz fein auf. Danach wird das Horn noch zweimal an der selben Stelle aufgesetzt. Durch mein Saugen an der Hornspitze, läuft das schlechte Blut ins Horn. Die Behandlung hinterlässt jedoch keinerlei Narben. Eine Behandlung dauert in der Regel ca. 30 Minuten. Der Patient ist nach dem Schröpfen sofort geheilt. In Ausnahmefällen sind mehrere Sitzungen notwendig.

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(S) Inwiefern unterscheidet sich das geschröpfte Blut von normalem?
Die Farbe des „schlechten“ Blutes, ist in der Regel sehr dunkel bis Schwarz. Manchmal ist es auch Gelb oder wässrig. Einige meiner Kunden haben das geschröpfte Blut in einem Labor untersuchen lassen und dabei wurde bestätigt, dass es tatsächlich krankhaftes Blut war. Das Schröpfen mit Stierhörnern führt mehr Blut aus als zum Beispiel Sauggläser, die in anderen Ländern zu diesem Zweck eingesetzt werden.

Foto links: in der Schale befindet sich das geschröpfte Blut eines Patienten

(S) Hidschama ist eine sehr alte Behandlungsmethode. Schon die Mediziner im alten Ägypten sind auf den Hieroglyphen mit Stierhörnern in den Händen verewigt worden. Bei welchen Krankheiten ist das blutige Schröpfen sinnvoll?
Das blutige Schröpfen eignet sich besonders bei Versteifungen, Verspannungszuständen, Durchblutungsproblemen, Gelenkbeschwerden, Ischias, Hexenschuss, Nackenschmerzen, Bluthochdruck, Rheuma und Wirbelsäulenproblemen.

(S) Wie weiss man, welche Körperstelle man Schröpfen muss?
Es wird immer dort geschröpft, wo der Schmerz sitzt. Bei komplizierteren Krankheitsbildern wissen wir dank unserer langjährigen Erfahrung, wo man Schröpfen muss.

(S) Wie lange muss man das blutige Schröpfen erlernen, bis man zum Meister wird?
Mindestens drei Jahre lang. Aber manche Menschen haben dafür kein Talent. Ich habe es nur meinen Kindern beigebracht. Einmal wollte ich es einem Cousin beibringen, aber der war dafür so ungeeignet, dass ich gelassen habe. Ich selbst praktiziere wie auch Mohammed, von Kindesbeinen an.

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(S) Wie viel kostet eine Behandlung bei Ihnen?
Der Preis richtet sich nach der Anzahl Hörner, die bei der Behandlung eingesetzt werden. Pro Horn verlange ich 50 Dhs.
(S) Sind Sie jemals einer anderen Tätigkeit nachgegangen?
Ja, im Oman habe ich einen Palmenhain, der mir meinen Lebensunterhalt finanziert. Ich verkaufe Palmen und Palmwedel, Datteln und Dattelprodukte.
angewandt.

(S) Woher stammen Ihre Kunden?
Dank des Dubai Shopping Festivals haben wir Kunden aus aller Welt. Ob aus Marokko, China, Pakistan oder Europa…..wir haben immer viele Patienten. In vielen Ländern ist ja das blutige Schröpfen auch bekannt, es wird zum Beispiel auch in der chinesischen Medizin angewandt.

(S) Ihr beide sprecht ja auschließlich Arabisch. Wie kommuniziert ihr denn mit euren Kunden aus aller Welt?
Ja manchmal ist es ein Problem. Aber ich habe immer einen englischsprachigen Artikel bei mir, der ein Journalist einmal über mich verfasst hat. Ansonsten müssen wir uns halt mit Händen und Füßen verständlich machen.

(S) Waren Sie schon einmal in einem „normalen“ Krankenhaus?
Ja einmal hatte ich ganz schlimme Wirbelsäulenschmerzen und da hat man mir in einem Krankenhaus eine Spritze gegeben, die mir aber nicht geholfen hat. In der Regel schröpfe ich mich immer selber, wenn ich krank bin. Bemerkenswerterweise lassen sich viele westliche Ärzte bei mir behandeln, was für sich spricht.

Schroupfen_10 (S) Wie denken Sie über die moderne Medizin?
Ich persönlich habe nur in die Chirurgie Vertrauen. Auf alles andere verzichte ich gerne. Ganz schlimm finde ich auch die Anästhesie, die die Ärzte heutzutage verabreichen. Ich meine, ich und Mohammed anästhesieren keine Patienten, um sie heilen zu können.

(S) Können Sie uns zum Abschluss etwas über Ihr Privatleben verraten?
Ja ich bin schon zum fünften Mal verheiratet! Aber ich hatte die Frauen nacheinander geheiratet und nicht gleichzeitig. Zuerst hatte ich zwei omanische Frauen, dann zwei aus Belutschistan. Alle vier Ehen blieben kinderlos. Am Ende heiratete ich meine jetzige, ägyptische Frau, mit der ich acht Mädchen und zwei Jungen habe.

cc

Ich bedankte mich ganz herzlich bei Mohammed und Suliman für das äußerst interessante Interview und wünschte ihnen alles Gute für die Zukunft und vor allem gute Gesundheit!
Möchten Sie die beiden Freunde auch einmal besuchen? Hier ist die genaue Adresse:

Ab Ende September bis Ende April
Heritage Village Dubai (Kulturerbedorf), in Shindagha
Ihre beiden Hütten befinden sich direkt vor dem Eingang des Diving Villages.

Quelle: www.hallodubai.com/ naturheiler.html