Mit Miswak und Chilal

ausbreiung

Die Ausbreitung des Islam seit dem 7. Jahrhundert, aus: dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Band 1, 1979, Seite 134

16. November 2008 – Im Islam spielten Mund- und Zahnpflege schon immer eine große Rolle. Der Gebrauch des Zahnputzholzes und des Zahnstochers war bereits in vorislamischer Zeit bei den Arabern Praxis. Ähnlich wie im Fernen Osten verlangte es die religiöse Überzeugung, die Zähne und den Mund rein zu halten.


In der Medizin und Zahlheilkunde griffen die Mediziner des islamischen Kulturraumes hauptsächlich auf Quellen griechischen Ursprungs zurück. Vor allem Hunayn ibn Ishâq (809 bis 873) hat die medizinischen Texte griechischer Ärzte und Gelehrter ins Arabische übersetzt. Mit der Gründung des Islam durch den Propheten Muhammad breitete sich seit dem 7. Jahrhundert n. Chr. die neue Religion in kurzer Zeit bis zur iberischen Halbinsel und nach Indien aus. Mit dem Islam gelangte auch die Sitte der Zahnpflege aus Arabien in weite Teile der Welt. Die Unterweisungen zur Zahn- und Mundreinigung stammten noch vom Propheten selbst. Die Reinhaltung der Zähne bedeutete aber keine Neuerung, sondern war schon bei den Beduinenstämmen Arabiens in der Zeit vor dem Islam üblich.

Größere Wirkung

Nach Überzeugung des Religionsstifters besaß ein Gebet, das aus einem gereinigten Mund kam, größere Wirkung. Vor jedem der fünf täglichen Gebete soll der Gläubige die rituelle Reinigung vornehmen, zu der auch die Säuberung des Mundes und der Zähne mit dem Siwak beziehungsweise Miswak gehört. In arabischer Sprache bedeutet das Wort „Meswak“ so viel wie Stäbchen zum Abwischen der Zähne. In persischer Sprache bezeichnet der Begriff „mswâk“ bis heute die Zahnbürste.

Der stark religiöse Hintergrund der Zahnpflege wird in den Hadithen deutlich, also jenem wichtigsten Werk nach dem Koran, das die Äußerungen Muhammads festhält. Dort berichtet ein gewisser Huzaifa: „Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, pflegte seinen Mund mit einem Siwak zu reinigen, wenn er in der Nacht für das Gebet aufstand.“ Der Prophet soll auch gesagt haben: „Die Gesamtwaschung des Körpers (Ghusl) am Freitag ist jedem Volljährigen Pflicht ferner (ist es ihm Pflicht), dass er seine Zähne putzt und Parfüm berührt, wenn er welches hat!“ Abû Huraira gab folgenden Gedanken Muhammads zur Pflege der Zähne wieder: „Wäre es keine Härte von mir für meine Umma – oder für die Menschen – gewesen, hätte ich ihnen zur Pflicht, gemacht, dass sie den Siwak vor jedem Gebet benutzen.“

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Der persische Arzt Ibn Sînâ

Zahnputzhölzer

Die Zahnputzhölzer im arabischen Raum wurden und werden vor allem aus dem Holz der Salvadora persica gefertigt. Die Pflanze Salvadora persica wird in Arabien als Arak-Baum bezeichnet, was so viel heißt wie „Zahnbürstenbaum“. Viele weitere Pflanzen sind überliefert, aus denen das Zahnputzholz gemacht wurde, zum Beispiel aus der Bergolive, dem Balsam oder Kapernstrauch. Ein Gelehrter des 9. Jahrhunderts berichtet von einer Pflanze, deren

schwarzes Holz, als Miswak verwendet, die Lippen rot färbte und daher sehr von der Damenwelt geschätzt wurde.

Das Wüstengewächs des Arak-Baums kann bis zu drei Meter hoch werden und gehört zur Pflanzenfamilie der Salvadoraceae. Aus den Wurzeln des Arak-Baumes werden die Zahnputzhölzer geschnitten. Bis zum heutigen Tag sind solche Hölzer auf den Märkten Arabiens erhältlich. Die Handhabung des Holzes wird sich über die Jahrhunderte nicht viel verändert haben. Das Holz wird vor dem Gebrauch an einem Ende von der Rinde befreit und die inneren Fasern gekaut bis sie wie ein Pinsel aussehen. Das vorherige Einlegen des Holzes in Wasser macht die Fasern besonders weich. Bei der Zahnreinigung werden nicht nur die Zähne, sondern auch die Zunge mit dem Miswak gebürstet. Die Zahnpflege mit dem Putzholz dauert etwa zwei bis zehn Minuten. Manche lassen den Miswak auch noch nach der Zahnpflege als Quasi-Kauersatz im Mund.

Zahnpasta inklusive

Das Holz der Salvadora persica enthält bereits Substanzen zur Pflege der Zähne. Es liefert gewissermaßen die Zahnpasta gleich mit. In den Wurzeln der Salvadora persica lassen sich große Mengen an Salzen, wie NaCl, KCl, Calcium und Fluoride, nachweisen. Auch das Alkaloid Trimethylamin (Salvadorin), Gerbstoffe (Tannine), Saponine, organische Schwefelverbindungen, Silikate, Harze und Vitamin C sind in den Wurzeln enthalten. In wissenschaftlichen Untersuchungen konnte bewiesen werden, dass die Anwendung des Miswak durch die in ihm enthaltenen Substanzen die Zahnsteinbildung hemmt und das Auftreten von Plaque, Karies und Gingivitis verringert (siehe Thomas Schünemann, Parodontalgesundheit und Mundhygieneverhalten der Bevölkerung im Jemen, Dissertation Marburg 1997).

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Der persische Arzt Ar-Râzi wirkte auch in der Residenz der abbasidischen Kalifen in Bagdad. Hier empfängt der Kalif Hârûn ar-Rašîd eine Gesandtschaft Karls des Großen. Gemälde von Julius Köckert, 1864

Die Zahnpflege im islamischen Raum beschränkte sich nicht nur auf den Gebrauch des Zahnputzholzes. Auch der Zahnstocher, der sogenannte Chilal, wurde oft benutzt. Da die Benutzung von Miswak und Chilal nicht nur hygienische Notwendigkeit, sondern auch religiöse Pflicht war, spricht, aus heutigem Blickwinkel betrachtet, viel für eine allgemeine Benutzung in der Bevölkerung. Die Wichtigkeit von Zahnputzholz und Zahnstocher unterstrei

cht auch die Tatsache, dass beide Zahnreinigungsinstrumente neben der Gebetskette zu den drei Geschenken eines jeden Mekkapilgers zählen. Aber wie auch in anderen Kulturkreisen wurde die Zahnpflege in den gehobenen Schichten stärker praktiziert als von einfachen Leuten.

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Der Gelehrte Maimonides brachte die iberisch-maurische Medizin nach Ägypten. Denkmal des Maimonides in Córdoba

Ratschläge zur Zahnpflege

In dem riesigen Einflussbereich des Islam seit dem 7. Jahrhundert hatten islamische Ärzte und Gelehrte viele Anweisungen für eine ordentliche Pflege der Zähne in ihren Werken verfasst.

Im Osten war das alte Perserreich der Sassaniden durch islamische Armeen im Jahre 642 bei Nehawend endgültig vernichtet worden. Der persische Raum kam unter die islamische Herrschaft der Dynastie der Umayyaden, die von 661 bis 750 das islamische Reich von Damaskus aus regierten. Seit 750 bis 1258 stellte die Dynastie der Abbasiden den Kalifen, der in Bagdad residierte. Der im Westen wohl bekannteste Herrscher der Abbasiden-Dynastie war Kalif Hârûn ar-Rašîd (Kalif von 786 bis 809), ein Zeitgenosse Karl des Großen.

Im Werk Al-Hâwî des persischen Arztes und Gelehrten Abû Bakr Muhammad ibn Zakarîyâ ar-Râzi (um 864 bis 925) finden sich Ratschläge zur richtigen Zahnpflege. Die medizinische Sammlung Al-Hâwî des Ar-Râzi, der im Westen als Rhazes bekannt wurde, verbindet die alte griechische Medizin mit der arabischen Medizin und gibt so die gesamten medizinischen und zahnmedizinischen Kenntnisse im Orient der damaligen Zeit wieder, die denen des Okzidents deutlich überlegen waren. Ar-Râzi war Schüler des persischen Arztes At-Tabarî, in dessen medizinischen Werk „Firdaus al-hikma“ Zahnpflege bereits ein Thema war. Ar-Râzi war zunächst Leiter des Krankenhauses der Stadt Raj in der Nähe des heutigen Teheran und arbeitete später in Bagdad, wo er die Gründung des dortigen Hospitals forciert haben soll. Zur vorbeugenden Pflege der Zähne empfahl Ar-Râzi den Gebrauch des Siwak und Zahnpulver. In Verbindung mit Honig solle man Hirschhornasche, Mastix, Salz, Alaun und Myrrhe verwenden. Nach jeder Mahlzeit sollten die Zähne gründlich, aber schonend gesäubert werden. Vor dem Verzehr bestimmter Speisen warnte Ar-Râzi, denn sie könnten schädlich für die Zähne sein. Wenn die Zähne nicht mehr hell genug seien, so riet der persische Arzt, Substanzen wie Osterluzei (Aristolochia clematitis, alte Arzneipflanze), Seekrebs- und Muschelasche, Salz zusammen mit Honig gebrannt zu verwenden. Zum Aufhellen seien auch Natron, Borax, grüner Wacholderweihrauch, Bimsstein, Glas, Schmirgel, Beifuss und verbrannter Thymian geeignet. Das Entstehen von Karies lasse sich laut Ar-Râzis durch das Einölen der Zähne vor dem Schlafengehen verhindern.

Die Schriften des persischen Gelehrten und Arztes Abû Alî al-Husayn ibn `Abdullâh ibn Sînâ (980 bis 1037) hatten sehr große Wirkung auf das christliche Abendland. In Europa wurde der Arzt unter dem Namen Avicenna berühmt. In seinem medizinischen Kanon führte Ibn Sînâ eine Reihe von Anweisungen zur Zahnpflege auf. In dem Kapitel über die Bewahrung der Zahngesundheit riet der Gelehrte unter anderem: „Man soll regelmäßig die Zahnzwischenräume reinigen, ohne es zu übertreiben und ohne es so häufig zu tun, dass es dem Zahnbett und dem zwischen den Zähnen befindlichen Fleisch schadet, indem es dieses verletzt oder die Zähne lockert.“ Noch sieben weitere Grundsätze erwähnte der persische Arzt, die zur Erhaltung der Zähne wichtig seien. Im Umgang mit dem Siwak empfahl er: „Das Zahnhölzchen muss in Maßen verwendet werden, und man darf damit nicht so übertreiben, dass der Glanz und der Schmelz der Zähne verschwinden. … Wenn das Zahnhölzchen mit Maßen benutzt wird, poliert und kräftigt es die Zähne, es kräftigt das Zahnbett, verhindert den Zahnverfall und macht den Atem wohlriechend.“

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Für jeden Muslim ist es erwünscht, sich vor dem Gebet auch den Mund und die Zähne zu reinigen. Muslime beim Gebet in Kairo, Gemälde von Jean-Léon Gérôme 1865

Im Westen der islamischen Welt praktizierte der Arzt Abû al-Qâsim Chalaf ibn al-Abbâs az-Zahrâwî (etwa 936 bis 1013), der im Abendland Albucasis genannt wurde. Er erhielt in Córdoba, dem Sitz der umayyadischen Kalifen der iberischen Halbinsel, seine Ausbildung. Mit Abû al-Qâsim und Ibn Sînâ erreichte die arabisch-persische Medizin ihren Zenit. Der iberische Arzt arbeitete am Hofe des Kalifen Al-Hakam II. (961 bis 967). Der Kalif war Förderer der Baukunst und der islamischen Wissenschaften. Er soll eine Bibliothek von über 400 000 Büchern besessen haben. Al-Hakam II. erweiterte auch die Hauptmoschee von Córdoba, die weltberühmte Mezquita, die noch heute jeden Besucher beeindruckt.

Ein Leben für die Medizin

Sein ganzes Leben widmete Abû al-Qâsim der Medizin. Besonders berühmt wurde er durch seine chirurgischen Abhandlungen. In seiner umfangreichen medizinischen Schrift „Kitâb at-tasrîf“ befasste sich der Mediziner auch mit Zahnmedizin und Zahnpflege. Er riet dringend zu einer gründlichen Zahnreinigung. Abû al-Qâsim stellte erstmals den Zusammenhang zwischen der „verfaulten“ Gingiva und supra- und subgingivalem Zahnstein her. In einer Abschrift seines Werkes aus dem 11. Jahrhundert finden sich Abbildungen einer Reihe von Instrumenten zur Zahnreinigung.

Das seit dem 7. Jahrhundert entstandene islamische Reich verlor ab dem 12. Jahrhundert immer mehr seinen politischen Einfluss. Auf der iberischen Halbinsel eroberten christliche Königreiche immer mehr Land zurück. Das einstmals blühende Kalifat von Córdoba zerfiel in Teilreiche. Mit der Übernahme der Macht durch die strenggläubigen Almohaden im islamischen Spanien war es auch mit der religiösen Toleranz vorbei. Der allgemeine Abstieg betraf ebenfalls die Wissenschaften. Einen letzten Glanz erfuhren die Medizin und Wissenschaft durch den Maimonides genannten Philosophen und Arzt. Der jüdische Gelehrte Moses ben Maimon oder arabisch Musa ibn Maimun wurde 1138 in Córdoba geboren (gestorben 1204 in Kairo). Er befasste sich in seinen Werken auch mit der Mund- und Zahnpflege. Von den neuen Machthabern wurde er bedrängt, zum Islam zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Daraufhin ging der Gelehrte aus Spanien weg und kam über das marokkanische Fés und Jerusalem schließlich nach Kairo. So gelangte das iberisch-maurische Medizinwissen auch nach Ägypten.

Kay Lutze
kaylutze@ish.de
zm 98, Nr. 22, 16.11.2008, Seite 122-126

Miswak

Mit miswak und Chilal