Scharia Teil 2

Quran_Scharia

Teil II

Die Beziehung des Menschen zu Gott wird durch das Wort Islam zum Ausdruck gebracht – sich Ihm ergeben, indem man Seinem Willen folgt und Seiner durch Seine Propheten gebrachten Rechtleitung. Aber diese Hingabe muss absolut und allumfassend sein. Ein Muslim gibt seine gesamte „Person“ dem Schöpfer als seinem einzigen Herrn und Meister hin. Kein Bereich seines Lebens kann von dem Bedürfnis nach göttlicher Rechtleitung oder dem Anspruch göttlicher Oberhoheit ausgenommen werden. Gott und Sein Herr und Seine Oberhoheit sind unteilbar, und so ist es auch mit dem Leben des Menschen in seiner Hingabe an Ihn. Es wäre zweifellos ein unvollkommener Gott, den man nur erfahren oder verbinden könnte mit dem geistigen Bereich oder der Deckung materieller Bedürfnisse wie das tägliche Brot – ein Gott der sich nicht kümmert und nicht dafür sorgt oder unfähig ist, dem Menschen bei der schwierigeren und komplexen Aufgabe beizustehen, sein Leben zu leben.

Ihn betet er an, Ihn ruft er an, von Ihm ist er abhängig, zu Ihm hat er Vertrauen, Ihn sucht er und, ebenso bedeutsam, Ihm ist er gehorsam. Dem Menschen wurde die Freiheit gegeben, Gott abzulehnen. Wenn er Ihn aber annimmt, muss er Seiner Rechtleitung folgen. Es steht ihm nicht frei, einen Teil davon anzunehmen und einen anderen außer Acht zu lassen, und auch nicht, Rechtleitung bei anderen Quellen statt Gott zu suchen. Einen Teil zu bestreiten bedeutet das Ganze zu bestreiten.

Glaubt ihr denn nur an einen Teil der Schrift und leugnet einen anderen? Wer unter euch so etwas tut, den trifft kein anderer Lohn als Schande in diesem Leben, und am Tage der Auferstehung werden sie der schwersten Strafe überantwortet werden. (die Kuh 2:79)

Verlangen sie etwa eine andere als Allahs Religion? Ihm ergibt sich, was in den Himmeln und auf der Erde ist, willentlich oder wider Willen (Al-Imran 3:77)

Und wer eine andere Religion als den Islam will, nimmer soll sie von ihm angenommen werden (Al-Imran 3:79)

Wudu

Im eigentlichen Sinn ist Scharia darum praktisch ein Synonym und wechselweise verwendbar für den Begriff Din, der nur grob als „Religion“ übersetzbar ist.

Din heißt eigentlich „Lebensweise“, „Unterwerfung“ , „Nachfolge“ oder auch „Weg“. Obwohl das Wort Scharia in seinen verschiedenen Ableitungen im Qur’an an fünf Stellen zu finden ist. (5:48; 7:163; 42:13; 42:21; 45:18),

kam seine weit verbreitete Anwendung erst viel später in Gebrauch, weil die Wörter Islam und Din in der Frühzeit des Islam mehr dazu benutzt wurden, diese Bedeutung auszudrücken.

Scharia schließt sowohl Glaube wie auch Praxis ein. Sie umfasst Gottesdienst, persönliche Einstellungen und Verhalten ebenso wie gesellschaftliche Normen und Gesetze, seien diese politisch, wirtschaftlich, familien-, kriminal- oder zivilrechtlich. Manchmal steht der Begriff auch für Gebote und Verbote in einem engeren Sinn – Regeln und Anweisungen für das Verhalten und Benehmen. Schließlich wird er auch gleichgesetzt mit dem islamischen Gesetz.

Die Scharia ist also nichts geringeres als die dem Menschen von Gott vorgeschriebene Lebensweise. Um den Willen Gottes zu tun, muss der Mensch der Scharia folgen. Nach dem Islam zu leben, bedeutet nach der Scharia zu leben. Die Scharia oder einen Teil davon wissentlich, willentlich oder mutwillig aufzugeben, bedeutet den Islam aufzugeben. Ein Muslim muss darum alles in seinen Kräften Stehende tun, die Scharia insgesamt zu beachten und anzuwenden, wo immer und in welcher Situation er sich befindet. Daher rührt das Beharren der Muslime, ihr Festhalten, ihr Engagement und ihr Verlangen danach.

Freiheit und Menschenwürde

Die völlige Hingabe an Gott gemäß der Scharia beeinträchtigt in keinster Weise die Würde des Menschen, seine Freiheit und Verantwortlichkeit. Dieser Akt der Hingabe an Gott ist die höchste Form menschlichen Willensvermögens und menschlicher Freiheit, denn die Freiheit, Gott nicht zu gehorchen, ist hier mit eingeschlossen. Sich Gott zu unterstellen bedeutet ja alle Ketten und Fesseln irgendwelcher Knechtschaft, Hörigkeit und Anhängigkeit zu sprengen, sei dies gegenüber anderen Menschen, Ideen, der Natur, von Menschen gemachten Gegenständen oder Einrichtungen. Vor der Bezeugung des Einen Gottes muss die Lösung von allen falschen Göttern kommen.

Noch wichtiger ist, dass die völlige Hingabe des Menschen an Gott ihn auf die Ebene von khilafa (Nachfolgeschaft) erhebt, die ihm den höchsten Rang auf der Erde einräumt, indem er ihn mit Verstand, Sprache, Willen, Freiheit und Verantwortlichkeit versieht. Die Verantwortung, der Scharia zu folgen, ist nach dem Qur’an (al-ahzab 33:72) die Einlösung der amana, jener anvertrauten Sache, die selbst die Himmel, die Erde und die Berge nicht auf sich zu nehmen wagen.

  • 1. Der Qur’an

Die allererste Quelle der Scharia kann nur das Wort Gottes sein, dem Propheten Muhammad (s) offenbart. Diese Offenbarungen sind im Qur’an zusammengestellt, der – was niemand bestreitet – uns Wort für Wort so überliefert ist, wie er vom Propheten mitgeteilt worden war.

Sowohl die Bedeutung wie auch die Worte des Qur’ans sind von Gott, wie dies auf verschiedene Weise an unterschiedlichen Stellen klar dargelegt ist. Der Qur’an verwendet sehr häufig und vorzugsweise den Ausdruck „herabsenden“, um den Prozess der Offenbarung zu beschreiben. Die allererste Offenbarung lautete: „Trag vor!“ Der Prophet teilte immer unmißverständlich mit, ob er seine eigenen Worte gebrauchte oder Worte, die er empfangen hatte.

Haj

Die Hauptbetonung des Qur’ans liegt zweifellos auf dem Glauben und dem moralischen Verhalten von Menschen und Völkern, aber er legt, explizit und implizit, wenn auch in Kürze, die Prinzipien, groben Umrisse und erforderlichen Regeln und Maßnahmen fest, die für die Bildung der Gemeinschaft des Islam erforderlich sind. Das eine kann ja ohne das andere nicht verwirklicht werden; die mit der Scharia anvertraute Aufgabe ist ohne das Vorhanden sein moralischer Charakterstärke höchsten Grades nicht lösbar.

Der Einwand dass die Gesetzeselemente des Qur’ans nicht wirklich für immer gedacht seien, weil das Hauptanliegen des Qur’ans moralischer Natur ist, kann nur gelten, wenn der Qur’an dies selbst aussagt. Das ist aber nicht der Fall. Er deutet nicht einmal irgendwo an, dass ein Teil von unterschiedlichem Rang als ein anderer sei. Es gibt überhaupt kein Qur’anisches Argument oder eine Anweisung dafür, dass „Beten“ ein immergültiger Auftrag ist, während „dem Dieb die Hand abzutrennen“ oder die Erlaubnis zur Mehrehe nur zu bestimmten Zeiten unter bestimmten Umständen Gültigkeit haben. Man kann nur, mit den Worten des Qur’ans sagen:

Habt ihr eine Schrift, in der ihr (das) lest? (al-Qalam 68:37)

Wenn ja, dann:

Bringt mir eine Schrift von dieser oder eine Spur von Wissen, wenn ihr wahrhaftig seid! (al-Ahqaf 46:4)

  • 2. Die Sunna

Der Prophet selbst war nicht einfach ein Briefträger, der Gottes Schrift ablieferte und dann verschwand. Unter Gottes Einfluss handelnd überbrachte er nicht nur die Botschaft, sondern setzte eine Bewegung in Gang. Er veränderte Menschen und Gesellschaft, begründete eine Gemeinde, errichtete eine Staat und verbrachte jeden Augenblick seines Prophetentums damit, seine Anhänger zu leiten, anzuweisen und zu führen. Das Beispiel seines Lebens, nach Gottes Rechtleitung gelebt und was er getan, gesagt oder gebilligt hat einbeziehend, ist die Sunna, die zweite grundsätzliche Quelle der Scharia. Die Autorität der Sunan ist fest begründet im Qur’an und der geschichtlich andauernden Übereinstimmung der muslimischen Umma.

Hilal

Die ausdrücklichen Aussagen des Qur’ans hierzu sind zahlreich. Jeder Prophet wurde geschickt, damit ihm gehorcht wird. (Al-Nisa 4:64). Der Prophet Muhammad (s) ist der letzte und das vollkommene Beispiel (al-ahzab 33:21,40).

Dem Propheten zu gehorchen heißt Gott gehorchen (al-nisa 4:80). Gott und der Prophet werden oft zusammen genannt, besonders, wo Gehorsam befohlen wird, aber die Befehlsform „Gehorcht!“ wird auch gesondert für Gott und für Seinen Propheten verwendet (al-nisa 4:59) Dem Propheten zu folgen und ihm zu gehorchen ist der einzige Weg, seinen Gott zu lieben, von Ihm geliebt zu werden und Vergebung der Sünden zu erlangen (Al-Imran 3:31-32). Alles, was Streit oder Meinungsverschiedenheiten auslöst, soll vor Gott und Seinen Gesandten als endgültige Autorität gebracht werden (al-nisa 4:59). Keiner kann ein wirklicher Gläubiger sein, der nicht den Propheten als die letztendliche Instanz in allen Angelegenheiten anerkennt und sich seinen Entscheidungen beugt, freiwillig und bedenkenlos (al-nisa 4:65). Der Prophet (s) hat die Autorität des Erlaubens und Verbietens (al-araf 7:157) und schließlich, was der Prophet gibt, nimmt man und was er verwehrt, von dem lässt man ab (al-haschr 59:7).

Die geschichtlich fortwährende Übereinstimmung und Praxis der Umma ist auf den Augenblick zurückzuführen, in dem Abu Bakr, der erste Kalif, sein Amt antrat und in seiner Eröffnungsansprache ausdrücklich „Gott und (das Beispiel des) Propheten als für ihn zum Gehorsam verpflichtend und bindend“ annahm. Es gibt ausreichend Hinweise darauf, dass die erste islamische Gemeinde immer und in jeder Lebenslage Rechtleitung durch die Sunna suchte. Tatsächlich gibt es seither fast überall in der Umma Übereinstimmung hinsichtlich der Sunna als der zweiten Quelle der Scharia. Die ganz seltenen isolierten gelegentlich aufgetretenen Gegenmeinungen haben niemals Unterstützung gefunden.

Die Sunna ist hauptsächlich in den Schriften über Hadithe (Berichte, Überlieferungen) niedergelegt. Anfangs wurden diese nicht in großem Maße niedergeschrieben, weil die Leute die Berichte über das, was der Prophet sagte, tat oder billigte, nicht mit dem eigentlichen Qur’an text durcheinander bringen wollten. Allerdings wurden viele Zusammenstellungen privat von Einzelpersonen vorgenommen, von denen wir authentische Zeugnisse besitzen. Als die Zeitgenossen des Propheten (s) wegstarben, wurde die Notwendigkeit, sein Lebensbeispiel aufzuzeichnen, dringlich und man unternahm dazu enorme Anstrengungen. In der Mitte des dritten Jahrhunderts wurden die ersten Quellenwerke, die heute in Gebrauch sind, von Buchari (gest. 256/870) und Muslim /gest. 261/875) fertig gestellt. Buchari führt 2762, Muslim 4000 Überlieferungen an, Wiederholungen nicht mitgezählt.

Quelle: Al-Islam Magazin, von Khurram Murad

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